Auszug aus einem Brief des Sammlungskurators vom 20. August 2020 an eine Donatorin:
Habe mir überlegt, was ich unseren Gästen am Sonntag sagen soll [Anm. zur Eröffnung der Ausstellung „Handel im Wandel“]. Vor mir stand dann plötzlich die wunderschöne Reise-Toilettengarnitur, die jetzt hinter Glas ist, und was das Glas, die Vitrine, mit den Objekten macht. Obwohl durchsichtig, entfernt es uns die Objekte und hebt diese auf eine Symbolebene. Die Scheibe entzieht, enthebt sie dem üblichen Gebrauch und macht den Blick durch die Glasscheibe zum Blick in die Vergangenheit.
Im Museum habe ich so kleine Plexiglashauben. Habe mal ausprobiert, ganz unscheinbare Dinge des Alltags, eine Tasse, eine verdrückte Getränkedose, einen Teddybär unter die Vitrine gestellt. Es war Magie: die Dinge blickten mich an als verzauberte Objekte und begannen mir ihre Geschichte zu erzählen. Bemerkenswert fand ich, dass dies mit jedem Objekt funktioniert, welches man hinter eine Glasscheibe stellt.
Einen Gedanken später durchfuhr mich ein heilloser Schreck: Ich sah vor mir lebendige Menschen, die hinter Glas gestellt wurden, in den Warenhäusern, an den Bankschaltern, ja sogar in den Schulen die Lehrer und die Schüler, je nachdem, auf welche Seite man sich stellte. In diesem Moment wurde mir schlagartig bewusst, dass Corona unsere bekannte Welt in ein Museum verwandelt hat.
Nun befinden sich die Menschen in den Vitrinen und erzählen von einst, als die Tage noch frei, als die Nähe noch gut und Distanz ungesund war. Obwohl ich Museen liebe, konnte ich mich darüber nicht freuen, denn nun fehlen die Museumsbesucher, welche in ein globales Menschenmuseum eingepfercht sind. Trauer steigt im Herzen auf und die bange Frage, ob diese freie Menschheit, die nun ins Museum verbannt wurde, je wieder ihre Freiheit finden wird.
Mit diesem Gedanken kehre ich ins Museum zurück. Vielleicht können wir kleine Zeichen setzen und in unserem Museum einige Objekte von den Vitrinen befreien, sie also ungeschützt auf die Menschen treffen lassen…